Fake-News, Framing und Hass im Netz – das war die 11. «re:publica»
Die 11. «re:publica» ist zwar schon eine Weile her, für einen Rückblick ist es aber nie zu spät – zumal die Inhalte der Social-Web-Konferenz jeweils nicht nur brandaktuell, sondern auch hochrelevant sind. Mein Interesse galt heuer insbesondere dem Thema politische Kommunikation im Social Web. Um Fake-News, Framing und Hass im Netz kam ich dabei nicht herum. Weshalb kriechen wir Falschmeldungen auf den Leim? Was kann man dagegen tun? Wie geht eigentlich Framing? Und ist das Netz immer noch ein Hort des Hasses? Erklärversuche, Therapieansätze und Antworten in meinem Beitrag.
8000 Besucherinnen und Besucher, 770 Sessions, 3 Tage. So die Bilanz der diesjährigen «re:publica» in Berlin. Die Konferenz gilt als eine der grössten Veranstaltungen Europas zum Thema Social-Web-Kommunikation. Zu Recht. Das Event wird von Jahr zu Jahr gigantesker. FOMO, die «fear of missing out», wächst im Gleichschritt. Welche Sessions sind ein Must? Welchen Keynote darf man nicht verpassen? Wo und bei wem gibt’s Neues zu erfahren?
Ein Schelm, wer behauptet, alles nur schon zu den Leitthemen der 11. «re:publica» mitbekommen zu haben. Schliesslich bewegt man sich nicht nur im Netz, sondern auch an der «re:publica» in seiner eigenen Filterblase. Besucht werden diejenigen Sessions, die einen beruflich betreffen oder persönlich ansprechen.
Und so habe ich heuer insbesondere an Diskussionen und Workshops teilgenommen, die sich um politische Kommunikation im Social Web drehten. Fake-News waren dabei omnipräsent – oder wie man in der Prä-Trump-Ära sagte: Enten, Falschmeldungen, Hoaxes.
Weshalb sind Fake-News so gross? Weshalb gehen wir Falschmeldungen auf den Leim? Eine mögliche Erklärung in drei Punkten:
1. Emotio vs. Ratio
«Busen, Blut und Büsi» – seit jeher setzt der Boulevard auf diese Zauberformel. Nacktes, Blutiges und Flauschiges hat uns schon immer angesprochen. Das Social Web hat diese publizistische Strategie adaptiert und katalysiert: mehr Busen, mehr Blut, mehr Büsi. Emotional berührt – angewidert oder angezogen – teilen wir «BBB»-Inhalte, bis sie virale Hits werden. «If it bleeds, it leads.»
Was aber hat das mit Fake-News zu tun? Schliesslich gibt es durchaus echte Busen, echtes Blut und echte Büsis. Der Konnex besteht darin, dass Fake-News praktisch immer emotionalisierenden Gehalt haben. Der Fake und sein emotionaler Impact haben Kalkül: Falschmeldungen und Emotionen sind ein wesentlicher Bestandteil politischer Propaganda.
2. Politische Propaganda
Gerade weil Falschmeldungen emotionalisieren, sind sie für propagandistische Politkampagnen so wertvoll. Propaganda spricht ihre Zielgruppen stets emotional an, nie rational. Fake-News sind aber nicht die einzigen Ingredienzen von «computational propaganda», also von Propaganda im Online-Zeitalter. Erst Social Bots und Microtargeting bringen die Propaganda-Maschine richtig in Schwung und damit auch Fake-News in Umlauf: Während Social Bots (verzerrte) Meinungen verstärken, (Falsch-)Meldungen distribuieren und Plattformen mit (verirrtem) Content fluten, kümmert sich Microtargeting darum, dass die (falschen) Inhalte ihre Zielgruppen auch erreichen. Dass Microtargeting überhaupt funktioniert, dafür sorgen wir selbst. Anhand unserer Datenspuren – Facebook trackt sogar, wie wir unsere Handy-Kamera nutzen – lassen sich (Fake-)News treffsicher verbreiten.
3. Kognitive Verzerrungen
Damit politische Propaganda verfängt und Fake-News rezipiert werden, braucht es aber auch ein entsprechendes Publikum. Und dieses Publikum ist seinerseits keine Maschine, sondern ein Gegenüber mit einer zwar komplexen, dennoch durchschaubaren Psychologie. Weshalb ist Microtargeting so erfolgreich? Weil es uns liefert, was wir sehen, hören, lesen wollen. Und was wir uns wünschen und unser Weltbild bestätigt, das glauben und verteidigen wir. Wenn ich Hillary Clinton schlecht finde, dann glaube und unterstütze ich alles, was sie schlechtmacht. Dieser sogenannte Bestätigungsfehler dürfte eine der virulentesten kognitiven Verzerrungen im Social Web sein.
Der Bestätigungsfehler kommt jedoch nicht allein. Es gibt einige (sozio-)psychologische Phänomene, die uns – gepaart mit der Dynamik des Social Webs – korrumpieren und so Fake-News nähren. Etwa der Wahrheitseffekt, der wahr erscheinen lässt, was häufig gesehen, gehört oder gelesen wird – umso mehr, wenn es plausibel anmutet; der Mitläufereffekt (auch: «soziale Bewährtheit»), bei dem man sich der Meinung bzw. dem Verhalten der Mehrheit anschliesst; oder der Bizarrheitseffekt, der Inhalte desto besser erinnern lässt, je irritierender und verstörender sie sind – und damit auch unsere künftige Wahrnehmung beeinflusst. Eine schöne Zusammenstellung der wichtigsten kognitiven Verzerrungen im Social Web findet sich auf der Plattform manipuliert.de, die der Netz-Vordenker Sascha Lobo kürzlich lanciert hat.
Therapieansatz
Wie lassen sich Fake-News stoppen? Ein Therapieansatz könnte lauten: Kritisch bleiben, die Mechanismen der Social-Web-Kommuniaktion verstehen und sich seiner eigenen verzerrten Wahrnehmungen bewusst werden. Damit das gelingt, braucht es a) ein gerüttelt Mass an Medienkompetenz und b) eine gewisse Selbstkompetenz. Fake-News und Social Bots sind nur deshalb solche Institutionen, weil viele Userinnen und User mediale Analphabeten und auch zu wenig selbstkritisch sind.
Keine Politik ohne Frames
Politische Kommunikation bedeutet aber nicht nur Faking, sondern auch Framing, das «Rahmen» von Inhalten. Gerahmt wird hüben wie drüben: Trumps Wahlkampf war ein einziger grosser Frame, rechtspopulistische Parteien in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden framen ihre Inhalte und auch in der Schweiz wird in politischen Kampagnen gezieltes Framing eingesetzt.
Beim Framing werden Fakten mit Bedeutung aufgeladen oder besser: mit Assoziationen verknüpft. Das kleinste Wort, selbst grammatische Elemente wecken Assoziationen und aktivieren unser Weltwissen. Sprachvergleichende Untersuchungen zeigen zum Beispiel, dass Wörter mit maskulinem Genus stereotyp männlich und Wörter mit femininem Genus stereotyp weiblich wahrgenommen werden (der Schlüssel vs. la llave).
Framing funktioniert zudem umso besser, je konkreter ein Frame unser Weltwissen anspricht. Etwa dann, wenn Wörter, Metaphern oder Bilder physische Reaktionen provozieren. Ein beliebter Frame, der so funktioniert, ist der Ekel-Frame. Dabei wird der Inhalt mit ekelerregenden Dingen verbunden – auf dass die Sache selbst als widerlich perzipiert und deshalb abgelehnt wird.
Donald Trump beispielsweise hat Hillary Clinton in seinem Wahlkampf als «nasty woman» bezeichnet, ihren Toilettengang während eines TV-Duells als «disgusting» und sich selbst als eigentlichen Saubermann, der aus Angst vor Bakterien und Viren keine Hände schüttelt (um nur einige Beispiele für Trumps Ekel-Framing während des Wahlkampfs zu nennen). Trump beschmutzte Clinton aber nicht nur direkt, sondern auch übertragen – indem er Frauen an sich als eklig darstellte. Eine Fernsehmoderatorin, die just Trumps Misogynie kritisiert hatte, beleidigte er mit den Worten: «You could see there was blood coming out of her eyes. Blood coming out of her … wherever.»
Ein weiterer wirksamer Frame ist der Angst-Frame. Die SVP etwa operiert in vielen ihrer Kampagnen damit. Man erinnere sich an die Initiative für ein Minarett-Verbot (2009), das Referendum gegen die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf Rumänien und Bulgarien (2009) oder die Initiative zum «Stopp der Masseneinwanderung» (2014). Sie alle zeigen düstere und angstmachende Szenarien (allein das Wort «Masseneinwanderung» ist ein Frame: Es lässt die Zuwanderer zu einer gesichtslosen «Masse» verkommen und dehumanisiert sie, was jene nicht nur unheimlich erscheinen lässt, sondern auch die Empathie der Rezipienten verringert):
Hate, Hate, Hate
Eng verwoben mit (gesellschafts-)politischer Kommunikation im Social Web ist – Hass. In seiner trotzig-appellativen Umkehrung war der Hass im Netz gar das Leitmotiv der Konferenz: «Love out loud». Ich tippte das Phänomen bereits in meinem Artikel zur letztjährigen «re:publica» an und möchte an dieser Stelle und für einmal ein Video sprechen lassen: