Von Scharen, Heiligen und Krähen – das Coronavirus unter der Sprachlupe
Woher kommt der Name des Coronavirus? Weshalb steckt in ihm etwas Sakrales? Und was hat das Virus mit Krähen zu tun? Eine sprachliche Spurensuche.
Das Coronavirus hält die Welt in Atem – und es ist in aller Munde. Sucht man bei Google nach Coronavirus, liefert die Suchmaschine innerhalb einer halben Sekunde 10 Milliarden Treffer. Zum Vergleich: Wer Donald Trump eingibt, erhält schlappe 750 Millionen Ergebnisse angezeigt.
Es wurde fast schon unermesslich viel über das Virus geschrieben und berichtet. Medizinisches, Gesellschaftliches, Wirtschaftliches. Ethisches, Philosophisches, Theologisches. Ernsthaftes, Profanes, Groteskes. Was aber bietet das Coronavirus sprachlich? Es ist Zeit, das Virus unter die Sprachlupe zu nehmen.
Physiognomischer Name
Wir alle kennen Bilder und Visualisierungen des Virus. Es sieht berückend und irgendwie erhaben aus. Ein bisschen wie eine bunte Sonne. Ein bisschen wie ein Stern aus einer anderen Galaxie. Nicht wie das Ebolavirus, das uns an einen Spulwurm erinnert, und auch nicht wie Pneumokokken, die an Erbsen gemahnen.
Die Physiognomie des Coronavirus hat ihm auch seinen Namen gegeben. Medizinisch betrachtet ist das Virus gemäss Duden von kranzförmiger Gestalt. Damit ist das Coronavirus nicht allein. Es gibt in der Medizin eine Vielzahl von kranz-, kronen- oder kreisartigen Gebilden. Etwa die Corona cordis, die Herzkrone mit den Herzkranzgefässen, die Corona dentis, die Zahnkrone, also der sichtbare Teil unserer Zähne, oder die Corona veneris, das Stirnband der Venus, ein Schuppenkranz um die Stirne, augenfällige Folge einer Syphilis-Erkrankung (deshalb auch die Assoziation mit der römischen Göttin, die insbesondere die menschliche Sexualität verkörpert).
Physik und Sozialverhalten
Die Corona war uns bisher wohl am ehesten aus der Astronomie bekannt. Da beschreibt sie laut Duden den Strahlenkranz der Sonne, der sich erst bei einer totalen Sonnenfinsternis zeigt. Das Wörterbuch verweist auf ein weiteres himmlisches Phänomen: Eine Corona ist eine durch Beugung des Lichtes an Wolkentröpfchen und Eiskristallen hervorgerufene atmosphärische Leuchterscheinung. Diese hat auch Eingang in die Elektrik gefunden. Hier ist eine Corona eine schwach leuchtende Glimmentladung an elektrischen Hochspannungsanlagen.
Diese physikalischen Ereignisse finden Entsprechungen in unserem sozialen Verhalten. So bezeichnet eine Corona gemäss Duden einen Kreis von Menschen, insbesondere von Zuhörern oder Zuschauern. Der ursprünglich studentensprachliche Begriff meint weiter eine Gruppe oder Ansammlung von Menschen, die gemeinsam etwas unternehmen, ja gar eine fröhliche Runde oder Schar. Welch Ironie indes: Was uns derzeit verunmöglicht ist, teilt sich den Namen mit dessen Ursache.
Von der Krümmung zur Krone
Corona ist ein Lehnwort aus dem Lateinischen, wo es Kranz oder Krone bedeutet. Es geht auf das altgriechische korṓnē zurück, was etwas Gekrümmtes und schliesslich ein Bogenende oder einen Türgriff bezeichnet, so das Etymologische Wörterbuch der deutschen Sprache (Kluge).
Ein Blick in das Etymologische Wörterbuch der lateinischen Sprache von Vaniček (aus dem Jahr 1874) bestätigt die Verbindung von Krümmung, Kranz und Krone sowie Kreis. Der Wortstamm kar (kvar, kur) – Bedeutung: krumm sein – findet sich nämlich in Wörtern wie cur-vus (gekrümmt), cir-cus (Kreis) oder eben cor-ona (Kranz, Krone). Aus lateinisch cu-cur-bita (Kürbis, Schröpfkopf) entstand übrigens auch der Kürbis.
Das Etymologische Wörterbuch des Deutschen (Pfeifer) ergänzt, dass lateinisch corona bzw. altgriechisch korṓnē einen aus Zweigen oder Blumen gewundenen Kranz als Kopfschmuck bei fröhlichen und feierlichen Anlässen oder als Siegespreis bei Wettkämpfen, dann nach orientalischem und biblischem Brauch den Metallreif als Zeichen des Herrschers ausweist. Seine Pervertierung findet der Blumenkranz indes in der corona spinea Christi, der Dornenkrone, die Jesus auf seinem Leidensweg krönte. (Kluge meint dagegen, dass das altgriechische korṓnē lediglich für allerlei gekrümmte Gegenstände, nicht aber für Kranz steht.)
Mit Pfeifers Hinweis auf den reifförmigen Kopfschmuck sind wir endgültig bei der Krone angelangt. Aus dem lateinischen corona ist denn auch über althochdeutsch korona oder krona und mittelhochdeutsch krone oder kron die heutige Krone entstanden. Dieselben sprachlichen Wurzeln haben das englische crown, das französische couronne oder das schwedische krona.
Altgriechisches Häkchen
Von der Krone stammt der Coroner ab. Ein im deutschen Sprachgebrauch seltenes Wort, da es eine Sache bezeichnet, die bei uns – aufgrund unterschiedlicher geschichtlicher Entwicklungslinien – anders heisst. Ein Coroner ist gemäss Duden ein Beamter in England und in den USA, der plötzliche und unter verdächtigen Umständen eingetretene Todesfälle untersucht. Der Oxford Dictionary erklärt: Coroner reflects the Latin title custos placitorum coronae (guardian of the pleas of the Crown). Unklar bleibt, ob es dabei um medizinische oder juristische Examinationen geht. Je nachdem ist der Job eines Coroners mit demjenigen einer deutschen Untersuchungsrichterin vergleichbar.
Die Koronis ist ein weiterer eher rarer Begriff im Deutschen. Er beschreibt laut Duden ein Zeichen in Form eines Häkchens, das im Altgriechischen die Zusammenziehung zweier Wörter anzeigt, wenn das erste Wort vokalisch auslautet und das zweite mit einem Vokal beginnt.Wir kennen solche linguistischen Kontraktionen, Krasen genannt, aus dem Französischen oder Spanischen: Aus ce est wird c’est, aus de el wird del. Im Altgriechischen sind diese Krasen mit einem kleinen Haken gekennzeichnet.
Heiligenschein und Heilige
In der bildenden Kunst ist eine Corona ein Heiligenschein an einer Figur, wie der Duden festhält. Bereits in der griechischen und römischen Antike wurden die Sonnengötter Helios bzw. Sol mit Strahlenkränzen dargestellt. Auch antike Herrscher wurden so abgebildet, um ihre Strahlkraft und Glorie zu verdeutlichen. Über verschiedene Adaptionen ist schliesslich der Heiligenschein entstanden, sagt die Religionswissenschaftlerin Alexandra Stellmacher von der Freien Universität Berlin.
Liest man im Lexikon des Mittelalters (Metzler) nach, findet man darin eine Heilige, die gleich selbst Corona hiess. Sie wurde seit dem 14. Jahrhundert als Märtyrerin verehrt, besonders in Österreich, Bayern und Böhmen. Über Coronas Leben ist wenig bekannt, sie soll im 2. Jahrhundert in Syrien oder Ägypten gestorben sein. Zwei Palmen, an der Spitze zusammengebunden, rissen die Märtyrerin beim Zurückschnellen entzwei. Weshalb aber hiess die Heilige Corona? Nach Metzler bezieht sich der Name auf den allgemeinen Begriff Märtyrer. Es liegt jedoch noch eine andere Vermutung nahe; Hinweise gibt es in Pfeifers etymologischem Wörterbuch, welches das altgriechische korṓnē mit Ende oder Spitze zusammenbringt. Der märtyrerhafte Tod zwischen zwei Palmspitzen könnte also Coronas Namensgeber gewesen sein.
Verwandt mit Krähe
In Pfeifers Wörterbuch wird auf einen weiteren Bedeutungszusammenhang rund um Corona verwiesen. Altgriechisch korṓnē – wir erinnern uns – meint etwas Gekrümmtes und bezeichnet deswegen assoziativ auch die Krähe (mit ihrem gekrümmten Schnabel). Das Griechische etymologische Wörterbuch von Frisk stützt diese Herleitung. Demnach verweist korṓnē als metaphorischer Begriff auf die gekrümmten Schnäbel und Füsse von Krähen. Laut Frisk funktioniert lateinisch cor-vus (Rabe) mit dem Wortstamm kar (kvar, kur) analog. Zumindest sprachlich ist das Coronavirus also mit der Krähe verwandt. So gesehen besteht auch zwischen den englischen crown (Krone) und crow (Krähe) ein wortgeschichtlicher Zusammenhang.
Apropos Krähe: In der griechischen Mythologie gibt es eine Koronis, die von Apoll begehrt wurde. Koronis liebte jedoch den sterblichen Ischys. Es war eine Krähe, die Apoll von Koronis «Untreue» berichtete, worauf dieser die junge Frau – je nach Überlieferung – töten liess bzw. selbst niederstreckte. Seine Trauer über die verlorene Liebe – wiewohl aus manischer Eifersucht selbst verschuldet! – drückte Apoll darin aus, dass er die bis dahin weiss gefiederte Krähe in einen schwarzen Vogel verwandelte.
Schweizerdeutsches Chrönli
Einige Corona-spezifische Besonderheiten hält schliesslich das Schweizerdeutsche bereit. Die Chrō(n) ist – neben der herkömmlichen Bezeichnung für Krone – etwa die Tonsur eines Geistlichen oder der Kopf der Kartoffel, also derjenige Teil, welcher der Staude abgewandt ist und am meisten Keime trägt, oder es sind damit die Zacken einer Säge gemeint, wie das Schweizerdeutsche Wörterbuch weiss.
Diminutiv benennt das Chrönli den kronenförmigen Teil einer Petroleumlampe, worin der Glaszylinder steckt. Auch bezeichnet es verschiedene Teile des tierischen Körpers – so den Kamm auf dem Kopf des Huhns, die Pfote der Hunde und Katzen oder die Füsse des Viehs, etwa der Kuh. Ein Chrönli ist ausserdem ein versteinerter Seeigel. Und last but not least ist Chrönli schlicht der Name eines Hundes.
Letzteres mutet irgendwie tröstlich an.