Toiletten – Konstituens und Spiegel unserer Gesellschaft
Jeder und jede kennt das schmale Männchen und die berockte Frau. In millionenfacher Ausführung leiten sie uns interkulturell verständlich den Weg zur Toilette. Sie gehören zum Inventar des öffentlichen Raums, sind fester Bestandteil des zivilisierten Lebens. Seit einiger Zeit jedoch geht es Herrn und Frau Piktogramm an den Kragen. Unisex-Schilder erobern sich stückweise das Terrain auf dem Lokus. In New York etwa müssen ab diesem Jahr von Gesetzes wegen alle öffentlichen Toiletten (auch Restaurants und Bars) geschlechtsneutral sein. Auch in Schweden und England sind Unisex-Toiletten eine Realität. Und in Berlin wird derzeit ein Pilotprojekt für «Toiletten aller Geschlechter» durchgeführt. Die rund 100 WC-Anlagen der Stadt Zürich sind ebenfalls nicht nach Geschlechtern getrennt.
Hier könnte dieser Beitrag eigentlich enden. Scheint an der Toiletten-Front doch alles in Ordnung zu sein und es für den/die egalitaristische/n Betrachter/in keinen Anlass zur Sorge zu geben. Doch zu behaupten, Unisex-Toiletten wären – selbst in westeuropäischen Breitengraden – Standard, wäre gewagt bis falsch. Nach wie vor stehen Unisex-Bestrebungen im Gegenwind. Zum Beispiel in der Schweiz: Restaurants mit Unisex-Toiletten handeln sich Bewilligungsprobleme ein, brechen das Gesetz, riskieren gar Strafverfahren. (Interessant nur, dass wir in gewissen Situationen ganz selbstverständlich Unisex-WC aufsuchen: in der Bahn oder im Flugzeug, auch an Grossveranstaltungen, wo wir unser Geschäft in geschlechtsneutralen Toilettenhäuschen-Kolonien verrichten.)
Unheil kommt insbesondere auch aus den USA. In einem seiner jüngsten Erlasse hat US-Präsident Donald Trump ein Dekret seines Vorgängers widerrufen, wonach Menschen an öffentlichen Schulen und Universitäten diejenige Toilette benutzen dürfen, die ihrer geschlechtlichen Identität entspricht. North Carolina, Antipode des Unisexism, geht noch weiter. Dort macht sich strafbar, wer eine Toilette aufsucht, die nicht für sein oder ihr biologisches Geschlecht vorgesehen ist. Für inter* und trans* Menschen wird der Toilettengang in North Carolina zu einem rechtlichen Drahtseilakt. Und je nachdem zu einem unlösbaren Problem (die «Notdurft», also aus Not etwas zu bedürfen, erhält vor diesem Hintergrund eine ganz andere Bedeutung). Welche Toilette ist für Hermaphrodit* die biologisch richtige? Allein diese Frage zeigt die Absurdität der Vorschrift.
Geschlechtergetrennte Toiletten – möge deren «falsche» Benutzung unter Strafe stehen oder nicht – sind die alltägliche Konsequenz der in den Personalausweis gemeisselten Dichotomie Mann – Frau. Ein – auch biologisches – Dazwischen oder Fluidum gibt es offiziell nicht. Von den rund 200 Ländern unseres Globus haben gerade einmal 4 eine dritte Geschlechterkategorie eingeführt in ihren Ausweisdokumenten. Neben Australien sind dies Nepal, Bangladesch und Indien (sic!). Im bekanntlich progressiven Skandinavien rüttelt einzig Schweden an der dichotomischen Norm. Das Land hat ein drittes Geschlecht in die offizielle Sprache aufgenommen: hen.
Aber zurück zu den Toiletten, Spiegel unserer Gesellschaft. Nicht nur ignorieren geschlechtergetrennte WC Menschen, die nicht in die vorherrschende Binarität passen. Das stille Örtchen ist inzwischen auch ein verlängerter Arm unserer Spassgesellschaft – ein munterer Ort der Selbstinszenierung, Snapchat- und Instagram-tauglich.
Witzige Toiletten-Motive laden Mann/Frau ein, die letzten Zweifel über seine/ihre Identität zu verlieren. In dieser Welt haben Männer Schnurrbärte, Frauen Locken, mögen Männer Blau, Frauen Rosa, tragen Männer Fliegen, Frauen Haarmaschen, sind Männer Teufel, Frauen Engel, trinken Männer Bier, Frauen Sekt (ein besonders findiges Motiv: die Bierflasche symbolisiert das männliche, das Sektglas das weibliche Geschlechtsorgan), pinkeln Männer schräg, Frauen lotrecht, sagen Männer «Bla», Frauen «BlaBlaBla» und – the President of the United States lässt grüssen – fassen Männer Frauen unter den Rock.
Die juxige Verpackung ist angesichts der Stereotypie grotesk. Und gefährlich. Sie zementiert die Geschlechterbinarität, zelebriert und verharmlost sie. Die Botschaft lautet erstens: Es gibt Männer und Frauen. Zweitens: Männer sind so, Frauen so. Drittens: Das ist lustig. Gerade das Spassige verschleiert, dass wir es hier mit einem Dogma zu tun haben, das Andersseiende, -fühlende, -denkende einfach unsichtbar macht.
Man solle sich nicht unnötig aufregen, möge die Sache mit Humor nehmen, die Welt würde ob ein paar flapsiger Toilettenschilder nicht aus den Angeln gehoben. So und ähnlich die Reaktionen, wenn man/frau/* sich kritisch zu Solcherlei äussert. Gewiss, die Erde tut sich nicht auf (der Gender-Gap allerdings schon), wenn uns auf Toiletten politisch unkorrekte Schilder begegnen. Es gilt jedoch, genauer hinzusehen. Womit haben wir es bei dieser sonderbaren Mischung aus Populär- und Insta-Kunst zu tun? Es sind Karikaturen, Zerrbilder der Realität – dessen, was schon immer war. Karikaturen, mögen sie noch so spöttisch ausfallen, bestätigen stets das Bestehende – indem sie es reproduzieren. Umso mehr, wenn der Absender auch gleich der Adressat ist. Dann dient die Karikatur zusätzlich der Selbstvergewisserung.
Wenn unsere Realität eine binär-stereotype ist, dann ist das eine Realität, die inter* und trans* Menschen leugnet. Das ist weder lustig, noch sollte man das auf die leichte Schulter nehmen. Symbole (und dazu gehören auch Toilettenschilder!) erzeugen Vorstellungen, Vorstellungen beeinflussen unser Handeln und unser Handeln prägt unsere politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Realität. Was den Jüdinnen und Juden sowie Andersseienden im Europa der 1930er und 40er Jahre angetan wurde, ist ein schrecklicher Beleg für diese Kausalitätskette. (Vgl. Luise F. Pusch, Die Frau ist nicht der Rede wert, 18ff.)
Und deshalb: Schluss mit geschlechtergetrennten Toiletten! Und die witzigen WC-Schilder? Die gehören sowieso ins Klo.