Je früher ein Arbeitnehmer mit psychischen Problemen Unterstützung erhält, desto besser stehen die Chancen, dass er seine Arbeit weiter ausüben kann bzw. ins Erwerbsleben zurückfindet. Das weiss auch Elisabeth Bösiger. Die stellvertretende Geschäftsführerin im KMU Bösiger Malerei AG und Präsidentin des Innerschweizer Malerunternehmer-Verbands engagiert sich für einen unverkrampften und professionellen Umgang mit psychischen Erkrankungen im Job. Das hilft Betroffenen und Arbeitgebern gleichermassen. Doch was können Firmen konkret tun? Eine Menge, sagt Bösiger.

Elisabeth Bösiger hat nicht viel Zeit für ein Gespräch, bald steht der nächste Termin an: eine Sitzung zur modularen Weiterbildung im Malerberuf. Trotzdem wirkt die Malerin und Kauffrau weder gehetzt noch oberflächlich. Engagiert ist sie, eine Macherin. Davon zeugen auch ihre beruflichen Aktivitäten. Sie ist nicht nur stellvertretende Geschäftsführerin des KMU ihres Bruders, Bösiger Malerei AG, sondern amtet auch als Präsidentin des Innerschweizer Malerunternehmer-Verbands. Und seit einigen Jahren macht sie sich stark für einen natürlichen und professionellen Umgang mit psychischen Problemen in der Arbeitswelt – unter anderem im Rahmen der Kampagne «Psyche krank? Kein Tabu!» der Werner-Alfred-Selo-Stiftung (siehe weiter unten).

Früh handeln lohnt sich
Bösiger weiss, dass es sich lohnt, hinzuschauen und früh aktiv zu werden. Und sie ist überzeugt, dass auch kleinere Unternehmen bei diesem Thema Verantwortung übernehmen können. Diesbezüglich ortet sie denn auch Handlungsbedarf. Als Präsidentin eines gewerblichen Verbands kennt sie die Zurückhaltung der KMUler nur zu gut, wenn es um psychische Probleme im Job geht. Dennoch: «Es gibt bereits einige kleine und mittelgrosse Firmen, die sehr kompetent mit dem Thema umgehen.»

Und das ist wichtig. Nicht nur die betroffenen Menschen kostet eine psychische Erkrankung viel – umso mehr, wenn sie nicht ernst genommen wird. Auch die Arbeitgeber müssen unter Umständen einen hohen Preis bezahlen. «Stellen Sie sich den Know-how-Verlust vor, wenn ein langjähriger Mitarbeiter ausfällt. Gerade einem kleinen Unternehmen muss deshalb daran gelegen sein, die Mitarbeiter zu halten.» Die volkswirtschaftlichen Kosten aufgrund psychischer Krankheiten sind ebenfalls beträchtlich. Laut Bundesamt für Sozialversicherungen machen sie gut drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. In anderen Worten: Die jährlichen Gesamtkosten belaufen sich auf 15 Milliarden Franken. Ein Grossteil davon sind indirekte Folgekosten wie Produktivitätseinbussen, Arbeitsausfälle oder Frühpensionierungen.

Arbeitgeber: auf Empfang sein
Was können Arbeitgeber aber konkret tun, wollen sie psychischen Problemen am Arbeitsplatz professionell begegnen? Ganz am Anfang stehe die Enttabuisierung, meint Elisabeth Bösiger. Es sei wichtig, dass man mit psychischen Krankheiten genauso unverkrampft umgehe wie mit körperlichen Leiden. Damit ist erstens der Teppich für präventive Massnahmen gelegt. Zweitens hilft Offenheit bei der Früherkennung einer psychischen Erkrankung. «Den Arbeitgebern fällt es leichter, ein Problem anzusprechen, und die Arbeitnehmer verlieren ihre Angst, sich mitzuteilen.» Dies sei umso wichtiger, als psychisch angeschlagene Menschen oftmals ohnehin von Ängsten geplagt seien.

Damit Probleme bereits in ihrem Anfangsstadium erkannt werden, müssen Arbeitgeber und Vorgesetzte zuhören und beobachten können. «Man sollte auf Empfang sein», meint Bösiger. Ein gutes Verhältnis zur Belegschaft sei dabei von grossem Vorteil. «Bei uns kriege ich viele Dinge deshalb mit, weil mir unsere Mitarbeiter auch vieles erzählen.» Und wann wird Elisabeth Bösiger hellhörig? «Wenn die Fehl- und Fehlerquote steigt. Und wenn jemand nicht einsehen kann, dass er öfter fehlt und mehr Fehler macht als früher.» Bei entsprechenden Signalen rät sie, so schnell wie möglich das Gespräch zu suchen und Unterstützung anzubieten. Dabei sei es wichtig, dem Mitarbeiter die Angst vor einer gemeinsamen Problemlösung zu nehmen. «Weil sie um ihren Job fürchten, negieren viele Betroffene ihre Situation. Als Arbeitgeber müssen Sie deshalb glaubhaft machen, dass es Ihnen mit der Hilfe ernst ist.» Zentral ist auch das Rollenverständnis: Der Arbeitgeber bzw. Vorgesetzte muss kein Arzt oder Therapeut sein, sondern ein «Seismograf». Probleme früh zu erkennen und rechtzeitig die richtigen Massnahmen einzuleiten – darum geht es.

Lässt ein Gespräch tatsächlich auf ein psychisches Problem schliessen, so sollte dem betroffenen Mitarbeiter geraten werden, seinen Arzt zu kontaktieren oder einen Facharzt beizuziehen. Dieser leitet notfalls weitere Schritte ein. Der Arbeitgeber kann einem Mitarbeiter dabei nur nahelegen, einen Arzt aufzusuchen. Verlangen kann er dies nicht. Bei längeren oder häufigen Absenzen eines Mitarbeiters ist der Arbeitgeber aber berechtigt, jenen bei der zuständigen IV-Stelle zu melden. Der Mitarbeiter muss über diesen Schritt allerdings informiert sein. Die IV klärt sodann die persönliche und berufliche Situation der betroffenen Person ab und versucht abzuschätzen, ob diese weitergehende Unterstützung braucht. In diesem Fall kann die IV ganz konkret helfen. Ziel: Die Person bleibt im Job bzw. findet ins Erwerbsleben zurück. Damit die dafür vorgesehenen Massnahmen greifen können, ist eine Anmeldung bei der IV nötig, die nur der Betroffene selbst vornehmen kann.

Arbeitsbedingte Risiken minimieren
«Arbeit vor Rente» – diesem Grundsatz widmet Elisabeth Bösiger ihr Engagement. Dabei ist für sie einerseits das Gespür des Arbeitgebers für psychische Schwierigkeiten zentral. Andererseits aber auch dessen Bestrebung, arbeitsbedingte psychische Erkrankungen erst gar nicht aufkommen zu lassen. Als Arbeitgeber habe man es in der Hand, die dafür notwendigen Stellschrauben zu bedienen, ist sie sicher. In ihren Augen reduzieren klare Aufgaben und Zielsetzungen, eine Feedback-Kultur sowie ein guter interner Zusammenhalt psychosoziale Risiken im Job markant. Sie und ihr Bruder achten denn auch auf Pflichtenhefte, die den Fähigkeiten und dem Leistungsvermögen der Mitarbeiter entsprechen. Wichtig ist Bösiger zudem, dass die Mitarbeiter genug Zeit für ihre Arbeit haben. «Zeit schützt enorm», sagt sie und fügt an: «Gute Arbeit braucht sowieso Zeit. Das müssen nicht zuletzt auch unsere Kunden verstehen.» Ein besonderes Augenmerk gilt weiter dem sozialen Kitt im Betrieb. Eingestellt wird nur, wer sich auch gut ins Team fügt. Diese Sorgfalt zahlt sich aus: Man hilft sich gegenseitig aus, die Stimmung ist familiär. «Es kommt vor, dass unsere Mitarbeiter nach der Arbeit gemeinsam den Grill anwerfen», meint Bösiger schmunzelnd.

Toleranz als Wunsch
Und was wünscht sie sich im Rahmen der Kampagne «Psyche krank? Kein Tabu!»? Sie wünsche sich, dass Menschen mit psychischen Problemen entstigmatisiert würden, sprich dass psychische Krankheiten wie andere Krankheiten behandelt würden. «Wir brauchen diese Toleranz, damit wir die Öffentlichkeit und die Unternehmen – ob gross oder klein – sensibilisieren können. Nur so gelingt es uns, berufsbedingte psychische Risiken zu minimieren. Und nur so schaffen wir es, psychische Probleme am Arbeitsplatz früh zu erkennen.» Und: «Es wäre schön, die Berufsverbände übernähmen die Kampagnenidee – so würde unser Anliegen noch mehr Firmen erreichen.» Sagt’s und macht sich mit einem sympathisch-kräftigen Händedruck auf zum nächsten Termin.

Über die Kampagne
Die Kampagne «Psyche krank? Kein Tabu!» wurde 2013 von der Werner-Alfred-Selo-Stiftung lanciert; unterstützt wird sie von der Zuger Gesundheitsdirektion. Die Kampagne will Menschen mit psychischen Krankheiten entstigmatisieren und gezielte Sensibilisierungsarbeit leisten. Einen ersten Schwerpunkt bildet das Thema psychische Krankheiten in der Arbeitswelt. Ziel ist es, via Früherkennung und Prävention von psychischen Problemen krankheitsbedingte Ausfälle zu reduzieren und die Produktivität der Mitarbeiter zu erhöhen. Die Kampagne stellt dazu sowohl Arbeitgebern als auch Arbeitnehmern umfangreiche Toolkits zur Verfügung. Diese enthalten Leitfäden und Checklisten sowie kreatives Sensibilisierungsmaterial. Für Arbeitgeber ist zudem eine Infoline (0848 77 00 77) eingerichtet.

Der Artikel erschien im Magazin «Schweizer Arbeitgeber» (8/2014).
Bild: ZVG