«TEN» bzw. anagrammatisch «NET» lautete das Motto der zehnten Online-Konferenz «re:publica» in Berlin. Für das richtige Leitmotiv sorgte allerdings erst die Spiegelschrift: «TƎИ». Die «re:publica» wollte uns mehr als sonst zum Reflektieren und Nachdenken anregen: Social Web – quo vadis? Und wo bleiben wir dabei? Rund 8000 Besucher setzten sich in über 500 Sessions während 3 Tagen mit diesen Fragen auseinander.

Für mich als Newbie war die Veranstaltung zunächst – gigantisch. So viele anregende Talks, Panels und Workshops. Und so viele Möglichkeiten, sich real (!) zu vernetzen. Klar, nicht alle Inhalte wurden meinen Erwartungen gerecht. Das ist aber nicht nur negativ. Nicht selten waren gerade die unscheinbaren Sessions diejenigen, die mich am meisten überraschten oder beschäftigten. Ich war zudem beeindruckt von der Offenheit, die sich die «re:publica» seit jeher auf die Fahne schreibt. Inklusion und Toleranz sind hier keine leeren Worte, sondern Tatsache. Das Gros der Besucher hat das egalitäre Credo der «re:publica» verinnerlicht. Der Anspruch, alle so zu akzeptieren, wie sie sind, war spürbar. Die einen oder anderen Misstöne – sei es wegen verpasster Sessions (teils war der Andrang gross und der Raum knapp), sei es wegen anderer Kleinigkeiten – gab es allerdings dennoch. Bei einer nicht nur ideellen, sondern auch kommerziellen Veranstaltung vielleicht auch nicht verwunderlich.

Um welche Inhalte ging es nun konkret an der 10. «re:publica»? Was wurde reflektiert und diskutiert? Für mich drehte sich die diesjährige «re:publica» schwergewichtig um folgende drei Themen:

1. Hass im Netz
Es wurde bereits viel geschrieben über den grassierenden Hass im Netz. Über die rassistischen, reaktionären und asozialen Filterbubbles. Über die Social Bots, die den Hass aufgreifen und perpetuieren. Und über die (hilflosen) Versuche, die Hass-Spirale zu durchbrechen. Das Panel, das ich zu diesem Thema besuchte, warf mit Blick auf die Moderation der «hate speech» im WWW jedenfalls eine berechtigte Frage auf: Reicht es künftig noch aus, dass vorwiegend Journalisten und Kommunikationsprofis den Hass in den Kommentarspalten zu bändigen versuchen? Brauchen wir nicht vielmehr auch im digitalen Raum Sozialarbeitende – Spezialistinnen und Spezialisten, die sich analog zum «echten» Leben dafür einsetzen, dass die hasserfüllte Filterblase platzt?

2. Automatisierung und künstliche Intelligenz
30 Prozent, 40 Prozent oder sogar 50 Prozent? Wie viele Jobs durch die Automatisierung von Arbeitsprozessen hinfällig werden, darauf wollten sich die Diskutanten beim Panel «Hilfe, die Roboter kommen» nicht festlegen. Unbestritten war dagegen, dass die Wirtschaft 4.0 gewisse Berufe verdrängen wird, ja. Gleichzeitig – und das ist die gute Nachricht – werden neue Berufe und damit auch neue Jobs entstehen. Für wen alles der Kuchen 4.0 grösser wird, ist allerdings schwer abzusehen. Klar ist: Es wird wirtschaftliche und soziale Umwälzungen geben. Klar ist auch: Die Gesellschaft darauf vorzubereiten, ist eine bildungspolitische Herausforderung – die wir jetzt anpacken müssen.

Robotwall an der 10. «re:publica»

Wo Maschinen immer mehr zu Planungs- und Entscheidungsinstanzen werden, erhält der menschliche Geist Konkurrenz. Generatives Design etwa zeigt das eindrucksvoll: In unzählbaren Loops entwickeln Algorithmen die besten Designlösungen – für Automotive, Hochbauten oder medizinische Geräte. Vereinfacht gesagt: Wir geben das Ziel vor, den Rest erledigt die Maschine. Solche maschinengesteuerten Prozesse werfen haufenweise Fragen auf, das eine oder andere besorgte Votum aus dem Publikum gab es jedenfalls. Können diese Technologien missbraucht werden? Wissen wir künftig noch, wie wir die Maschinen programmieren müssen, wenn wir die Entwicklung von Dingen immer mehr an Computer abgeben? Und – über generatives Design hinaus: Wo bleibt die Moral, wenn die Maschinen entscheiden?

3. Kontrolle
Ortsdaten, Zeitstempel, soziale Verbindungen, Vitalfunktionen – nahezu alles lässt sich heute aufzeichnen, auswerten und protokollieren. Indem wir uns messen und vermessen, knüpfen wir ein engmaschiges Netz von Metadaten. Dass diese Daten ein reicher Fundus sowohl für Überwachungssysteme als auch kommerzielle Interessen sind, ist hinlänglich bekannt. Wie können wir uns der Kontrolle aber entziehen? Wie können wir die Kontrolle kontrollieren? Sicherlich durch Achtsamkeit und Selbstbeschränkung: Die Geodaten-Aufzeichnung kann deaktiviert werden, und nicht alle Körperdaten müssen in der Cloud landen. Auch sollten wir uns bewusst sein, auf welchem Medium wir wem was mitteilen. Wer es kämpferischer mag, kann auch den Algorithmus verwirren: falsche Spuren legen, Muster durchbrechen, seine Identität verschleiern. Nur: Können wir uns der Kontrolle überhaupt entziehen? Bei allem Respekt für unser Bedürfnis nach Datenschutz müssen wir vielleicht einsehen, dass wir für unsere Sicherheit und für unsere neuen Kommunikationsmöglichkeiten (mithin auch Geschäftsmöglichkeiten) schlicht einen Preis zu bezahlen haben.

Und dann war da noch…
…Snapchat. Darum ging’s an der 10. «re:publica» auch, ja. Diesem Kulturphänomen sollte man aber einen eigenen Beitrag widmen.