Rechtspopulistische Initiativen wie «Reconquista Germanica» zeigen: Der Hass im Netz hat sich verfestigt. Andersdenkende werden nicht mehr zufällig zur Zielscheibe im Social Web. Heute wird stramm organisiert Jagd auf den politischen Feind gemacht. Was können wir von den Rechten im Netz lernen? Geht das überhaupt? Oder müssen wir der Technologie die Zähne ziehen? An meiner 12. «re:publica» stiess ich auf Antworten.

«Pop» – so das Motto der 12. «re:publica» in Berlin, Europas grösster Konferenz zum Thema Digitalisierung und Gesellschaft. Poppig ging es gleich zu Beginn zu, als die Bundeswehr vor dem Konferenzgelände unangemeldet Werbung in eigener Sache machte – sehr zum Missfallen des Veranstalters. Man wolle keine Rekrutierungsaktionen der Bundeswehr und keine Männer und Frauen in Armee-Uniform an einer zivilgesellschaftlichen Veranstaltung, an der auch Menschen aus Krisen- und Kriegsgebieten teilnehmen (lesenswert: eine Chronologie der Ereignisse aus Sicht der «re:publica»-OrganisatorInnen).

Eine demokratisch legitimierte Armee von einer Konferenz auszuschliessen, die sich Meinungsfreiheit, Toleranz und Dialog auf die Fahne geschrieben hat und die dazu von Sponsorings der Bundesregierung unterstützt wird? Für Peter Tauber, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Verteidigung, ein Skandal. Er machte seinem Ärger als erster Luft:

Die Medien griffen die Story dankbar auf. Während etwa Die Welt die «Gelenkte Buntheit» der «re:publica» anprangerte und sie bigott schimpfte, warf die Taz der Bundeswehr einen «gründlich orchestrierten Shistorm» gegen die Konferenz vor.

Schnappatmung gab es auch in den Kommentarspalten, auf Facebook und Co. sowie in der Blogosphäre. Die einen mahnten die «re:publica» an deren Credo, die anderen verteidigten die pazifistische Selbstbestimmung der Konferenz. Die Meinungen waren gemacht, eine gegenseitige Annäherung gab es (bis heute) nicht.

Dass eine solche Episode an einer Konferenz passiert, die just die gescheiterte Diskussionskultur im Netz thematisiert, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Sie zeigt eindringlich auf, wie unbequem es ist, von seinem jeweiligen Standpunkt abzurücken. Umso mehr, wenn Claqueure und Algorithmen die eigene Filterblase aufblähen.

Und doch. Und doch wollte die «re:publica» auch heuer die Filterblasen auf-poppen und mit «Pop», der «power of people», Intoleranz, Hass und Gewalt etwas entgegensetzen. Nur was? Was lässt sich gegen den digitalen Hass tun – zumal dieser je länger je organisierter verläuft?

«Hass» sei denn auch nicht mehr die richtige Bezeichnung für das Phänomen, hiess es auf einem der Podien. Zu sehr würden damit voneinander unabhängige Aktionen und Akteure bezeichnet. Die Encounter-Öffentlichkeit, die sich spontan über ein gemeinsames Interesse im Social Web bildet, scheint hier tatsächlich an Bedeutung eingebüsst zu haben. Zumindest wenn es darum geht, politische Ziele zu erreichen. Bekanntes Beispiel: die deutschnationalistische Online-Initiative «Reconquista Germanica». Aus dem Halbschatten des Netzes heraus lanciert sie digitale Angriffe auf Andersdenkende – abgeklärt, systematisch, militärisch. Man befinde sich in einem «Infokrieg», so die Reconquista-Anführer. Mit blindwütigem Hass hat das tatsächlich nichts mehr zu tun.

Der Dokumentarfilm «Lösch dich! So organisiert ist der Hate im Netz» gibt einen Einblick in die Funktionsweise von «Reconquista Germanica» – und wurde u.a. auf Youtube, was Wunder, selbst zur Zielscheibe der Online-Legionäre:

Lösch Dich! So organisiert ist der Hate im Netz I Doku über Hater und Trolle

Hat Counter-Speech, also die tolerante Gegenrede einzelner AkteurInnen, überhaupt eine Chance gegen die digitale Hetze? Oder muss man – um im Jargon zu bleiben – zum Gegenangriff blasen? So einfach ist es nicht. Offenes Denken dürfte sich nicht gleich straff organisieren lassen wie reaktionäre Überzeugungen. Der Talk der österreichischen Autorin Ingrid Brodning zur Frage «Warum sind die Rechten so hip im Netz?» verdeutlicht dies indirekt. Brodning identifiziert vier Fähigkeiten, die RechtspopulistInnen anwenden in ihren Feldzügen:

  1. Sie setzen auf Inhalte, die emotionalisieren – sei es, um Unterstützung zu generieren, sei es, um zu provozieren. Weshalb Emotionen verfangen, umso mehr im Netz, habe ich in einem früheren Beitrag erläutert. Auch technisch sind Emotionen relevant: Je emotionalisierender ein Inhalt, desto mehr Reaktionen darauf (ganz egal, ob zustimmende oder ablehnende), desto wichtiger taxiert ein Algorithmus den Inhalt.
  2. Sie verkaufen reaktionäre Konzepte als revolutionär. Es entstehen «Alternativen» zum Status quo (namentliche Beispiele: die «Alternative für Deutschland» oder die «Alt-Right»-Bewegung in den USA). Gestürzt werden soll die Political Correctness. Nicht mehr nur altväterisch, sondern neu auch mit jugendlichem Elan und modernem Look and Feel (exemplarische Personifikation der «Neuen Rechten»: Martin Sellner, Aushängeschild der österreichischen Identitären Bewegung).
  3. Sie sind technikaffin. Damit wird einerseits die Reichweite propagandistisch gesteigert, andererseits der Anschein erweckt, grösser und – dank konsequentem Einsatz neuer Technologien – moderner zu sein, als man tatsächlich ist.
  4. Sie sind beharrlich. Nicht nur sind die reaktionären Dogmen fest verankert, auch hält das rechte Sperrfeuer an.
re:publica 2018 – Ingrid Brodnig: Warum sind die Rechten so hip im Netz?

Brodning ruft uns zu, dass wir von den Rechten lernen sollten. Dass wir sie mit ihren eigenen Waffen schlagen und uns nicht der Illusion hingeben sollten, das bessere Argument setze sich schon irgendwie durch. Einverstanden – nur: Individualität und Pluralität – Insignien einer freien Gesellschaft – lassen sich nur schwer mit strammen Organisationen vereinbaren. Einer, der den (satirischen) Versuch wagte, wird zurzeit heftig diskutiert und kritisiert: Jan Böhmermann. Er rief die «Reconquista Internet» ins Leben. Ziel: Rechtsextreme, -populisten und -konservative zu identifizieren und systematisch mit Liebe zu überhäufen. Im Nu scharten sich 50’000 Gefolgsleute um ihn. «Blockwart-Denke in schlimmster Tradition beider deutschen Diktaturen», empört sich FDP-Generalsekretärin Nicola Beer.

Vielleicht müssen wir den Fokus weiten? Weg von der Mikro- und Meso- hin zur Makroebene? So sieht es jedenfalls die Medienwissenschaftlerin Danah Boyd, die u.a. bei Microsoft Research forscht. In ihrem fulminanten Talk macht sie klar, dass Meinungen, Diskurse und Ideologien stets in ein digital-soziales Ökosystem eingebettet sind.

re:publica 2018 – danah boyd: Opening Keynote: How an Algorithmic World Can Be Undermined

In diesem Ökosystem ist die Technologie mit allen anderen Systementitäten – etwa der Wirtschaft, der Politik oder den Medien – verzahnt. Das zeigt erstens: Technologie ist nicht der Grund für unsere Bedürfnisse, Vor- und Einstellungen, sondern katalysiert, verstärkt und perpetuiert diese nur. Und zweitens: Im Kampf gegen die Hetze im Netz müssen sich alle Systemteilnehmer verantwortlich fühlen.

Das heisst – im Minimum und nicht abschliessend benötigen wir:

  • Ein Wirtschafts- und Finanzsystem, das nach ethischen Grundsätzen funktioniert.
  • Eine Politik, die für Offenheit und Freiheit einsteht.
  • Eine Bildung, die Medienkompetenz vermittelt.
  • Medien, die der Wahrheit verpflichtet sind.
  • Eine Gesellschaft, die Anders- und Verschiedenartigkeit aushält.
  • Menschen, die mutig sind.

Und die Technologie? In einer idealen Welt müsste diese gar nicht mehr reguliert werden. Denn eigentlich verhält jene sich nicht anders als das antike Palimpsest. Ein Schriftstück, dessen ursprünglicher Text abgeschabt oder abgewaschen wurde – um es daraufhin neu zu beschriften.