«Der AHV-Ausbau führt zu einer Umverteilung von unten nach oben»
«Viel Geld ohne Wirkung», sagt Wirtschaftsprofessor Christoph Schaltegger zum Leistungsausbau in der AHV. Geht es nach dem Ständerat, sollen alle Neurentner künftig 70 Franken mehr AHV erhalten. Für Schaltegger, der an der Universität Luzern lehrt und forscht, sind die Erfolgsfaktoren einer zukunftsfähigen Altersvorsorge andere: ein höheres Rentenalter, tragbare Mehreinnahmen und eine Schuldenbremse.
Die Reform der Altersvorsorge ist eines der wichtigsten innenpolitischen Geschäfte derzeit. Wieso genau?
Dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens geht es darum, die Finanzierung der Altersvorsorge nachhaltig zu sichern. Die Schweiz wird immer älter – entsprechend müssen wir unser Altersvorsorge-System demografiefest machen. Zweitens hat die Altersvorsorge eine wichtige sozialpolitische Funktion: Sie verhindert Altersarmut. Wir brauchen deshalb eine für Wirtschaft und Gesellschaft tragbare Reform, um die heutigen Renten zu sichern.
Mit einer Flexibilisierung des Rentenalters würden wir zudem die älteren Arbeitnehmer mehr wertschätzen. Heute ist mit 64 bzw. 65 Jahren Schluss; das ist entmündigend. Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer möchten und könnten noch länger arbeiten. Das hat nicht zuletzt einen positiven Gesundheits- und Sozialisierungseffekt: Wer länger arbeitet, bleibt gesünder und gesellschaftlich integriert. Ich finde es unglücklich, dass bei dieser Reform das Naheliegende – eine Erhöhung des Referenz-Rentenalters – tabuisiert wird. Last but not least hat die Altersvorsorge-Reform einen staatspolitischen Aspekt. Die zentrale Frage lautet hier: Ist unser Staat in der Lage, wichtige Reformen rechtzeitig und zuverlässig auf den Weg zu bringen?
Nun will der Ständerat die AHV-Renten erhöhen – künftige AHV-Rentner sollen monatlich 70 Franken mehr erhalten. Warum ist dieser Leistungsausbau problematisch?
Zunächst: Dieser Ausbau ist nicht finanziert. Der Ständerat vergrössert damit das Finanzloch in der AHV per 2030 um 1,4 Milliarden Franken pro Jahr. Die demografische Alterung sorgt zudem für eine ungesunde Dynamik: Bereits 2035 kostet uns dieser Leistungsausbau jährlich 2,1 Milliarden. Das zweite Problem: Der Rentenausbau erfolgt per Giesskanne und damit nicht zielgenau; Leute mit mittleren und hohen Löhnen haben keinen Bedarf – und für Leute mit tiefem Einkommen ist die Rentenerhöhung ein Nullsummen-Spiel. Sie erhalten dadurch nämlich weniger Ergänzungsleistungen. Hinzu kommt, dass ein Ausbau in der AHV das jetzige Rentenalter zementiert. Eine Anhebung des Rentenalters wäre die opportunere Lösung.
Weshalb ist der Leistungsausbau in der AHV speziell für die Wirtschaft ein Problem?
Zur Finanzierung des AHV-Ausbaus werden die Lohnbeiträge um 0,3 Prozent erhöht. Das verteuert die Arbeit. Für die Schweiz als Hochlohnland ist das gefährlich. Und weil die Unternehmen sehen, dass ein solcher Leistungsausbau keine langfristige Lösung ist, sondern weitere Kosten in Form von höheren Lohn-Nebenkosten oder einer höheren Mehrwert-Steuer nach sich zieht, fahren sie ihre Investitionen zurück. Das hat wiederum gesamtwirtschaftliche Auswirkungen. Kurz: Die unklare Finanzierung des Rentenausbaus sät Unsicherheit – und Unsicherheit ist Gift für die Wirtschaft.
Sie erwähnten es: Der Rentenausbau ist auch für Bezüger von Ergänzungsleistungen ungünstig. Warum genau?
Der Ausbau schiesst wie gesagt am Ziel vorbei. Leuten mit tiefem Einkommen werden die Ergänzungsleistungen um 70 Franken gekürzt. Unter dem Strich erhalten diese sogar weniger als vorher. Denn: Das Mehr an Rente muss versteuert werden – im Gegensatz zu den Ergänzungsleistungen. Und diejenigen, welche die 70 Franken nicht benötigen, die mittleren und oberen Einkommen, erhalten sie trotzdem. Der Leistungsausbau führt also zu einer Umverteilung von unten nach oben. Das ist grotesk.
Wie sieht in Ihren Augen eine zukunftsfähige Reform der Altersvorsorge aus? Anders gefragt: Was müssen wir tun, um unsere heutigen Renten zu sichern?
Wir müssen das Rentenalter der gestiegenen Lebenserwartung anpassen und auf 67 Jahre erhöhen. Parallel dazu müssen wir aber auch mehr Einnahmen generieren – über eine Anhebung der Lohnbeiträge oder der Mehrwert-Steuer. Es ist wichtig, dass wir eine opfersymmetrische und damit für Wirtschaft und Gesellschaft tragbare Lösung anstreben. Und schliesslich brauchen wir in der AHV eine Schuldenbremse. Das heisst: Sinkt der AHV-Fonds unter 50 Prozent einer Jahresausgabe, greift ein Automatismus, der die AHV-Finanzen wieder ins Lot bringt. Mit diesen Massnahmen sorgen wir für ein vertrauenswürdiges Altersvorsorge-System.
Der Beitrag erschien auf der Website des Schweizerischen Arbeitgeberverbands (10. November 2015).
Bild: Schweizerischer Arbeitgeberverband