«Auch eine Akte hat ein Leben»
Akten sind ihr täglich Brot. Graziella Borrelli leitet das Archiv der Pädagogischen Hochschule Zürich – mit viel Expertise und Leidenschaft. Ein Gespräch über den Lebenszyklus einer Akte, geheime Archive und den Mut zum Löschen.
Graziella, du leitest das Archiv der Pädagogischen Hochschule Zürich – was genau ist deine Aufgabe?
Ich bin dafür verantwortlich, dass wir unsere Akten ordentlich ablegen und aufbewahren. Dazu verpflichtet uns das Gesetz. Konkret: Nach Abschluss eines Geschäfts müssen wir alle damit verbundenen Entscheidungen während zehn Jahren jederzeit belegen können. Danach wird eine Akte entweder vernichtet oder aber sie wandert ins Zürcher Staatsarchiv. An diesem Punkt wandelt sich die Funktion einer Akte. Sie dient nicht mehr länger dem Beweis von Entscheidungen, sondern deren Nachweis. Als Archivarin kümmere ich mich um den Rahmen, in dem dieser Lebenszyklus stattfindet.
Eine saubere Geschäfts- und Aktenführung ist ausserdem betriebswirtschaftlich sinnvoll. Je systematischer wir hier vorgehen, desto weniger Zeit verbringen wir damit, Unterlagen zu suchen. Auch passieren weniger Fehler, weil wir beispielsweise unwissentlich mit verschiedenen Dokumentenversionen arbeiten. Nicht zuletzt benötigt ein systematisches Dokumentenmanagement weniger Speicherkapazität.
Als Archivarin beschäftigst du dich auch mit vertraulichen Daten. Inwiefern spürst du die zunehmende Wichtigkeit des Datenschutzes in deinem Job?
Archive waren schon immer sehr datensensibel. Früher waren es geheime Orte. Aus gutem Grund. Archive dokumentierten und manifestierten Herrschaftsansprüche – etwa Rechtsansprüche oder Steuereinnahmen. Erst unter dem Druck der Französischen Revolution öffneten sich die Archive. Die Bürger wollten wissen, welche Informationen der Staat über sie gespeichert hatte.
Und in welche Richtung tendieren wir heute – zwischen Datenschutz und Transparenz?
Archive bewegen sich seit jeher im Spannungsfeld zwischen Persönlichkeitsschutz, wissenschaftlichem Zugang und – seit etwa 20 Jahren – dem Öffentlichkeitsprinzip. Schutzfristen helfen uns, hier die richtigen Entscheidungen zu treffen. Personenspezifische Archivdaten zum Beispiel sind 50 bis 100 Jahre geschützt. Danach sind sie einsehbar für Öffentlichkeit.
Im Zuge der Digitalisierung wird der Datenschutz wichtiger, denke ich. Das hat damit zu tun, dass wir heute über Datenverknüpfungen umfassende Personenprofile erstellen können. An der PH Zürich wird der Datenschutz jedenfalls sehr ernst genommen. Das ist gut.
Wie beeinflusst die Digitalisierung deine Aufgabe?
Heute werden ganze Geschäftsabläufe digitalisiert. Als Archivarin bin ich daran interessiert, mich möglichst früh in diese vorarchivarischen Prozesse einzubringen oder sogar bei der Entwicklung spezifischer digitaler Systeme mitzuwirken. Mit der Digitalisierung hat sich auch die Archivarbeit weiterentwickelt – hin zum Records-Management.
Wie wird man eigentlich Hochschularchivarin? Was hast du vor deiner Zeit an der PH Zürich gemacht?
Ich bin ursprünglich Historikerin. Anfang der 2000er Jahre habe ich dann das erste Nachdiplom-Studium in Archiv-Wissenschaften an der Universität Bern absolviert. Danach arbeitete ich beim Bundesarchiv, später beim Archiv der Burgergemeinde Burgdorf und bei der Stiftung Hotelarchiv Schweiz.
Seit meinem Berufseinstieg haben sich die Archiv-Wissenschaften und auch das damit verbundene Berufsverständnis etabliert. Heute gibt es einen Weiterbildungsmaster, ein FH-Studium und eine Berufslehre auf diesem Gebiet. Zu Beginn meiner Karriere war es noch üblich, dass in Archiven Historiker arbeiteten. Dabei sind Geschichts- und Archiv-Wissenschaften zwei komplett verschiedene Domänen: Die Historikerin interessiert sich für Inhalte, der Archivar für Strukturen.
Du kommst aus Chur. Bist du eine Heimweh-Bündnerin?
Ja, natürlich! (Lacht.) Ich habe lange in der Westschweiz gelebt – bis es mich wieder nach Chur zog. Seither pendle ich. Ich brauche Berge um mich. Immerhin sehe ich vom Mitarbeitenden-Foyer der PH Zürich die Glarner Alpen. Sehr wählerisch bin ich hier aber nicht. Hauptsache Berge!
Gibt es eine déformation professionnelle – organisierst und archivierst du deine Daten und Unterlagen auch privat nach einem ausgeklügelten System?
Es ist eher umgekehrt: Ich bin jemand, die es gerne ordentlich hat. Und so bin ich wohl Archivarin geworden. An dieser Stelle muss ich indes mit einem Klischee aufräumen: Archivare sind keine Sammler – sondern Menschen, die strukturieren, selektieren und ausdünnen. Privat mache ich aber gerne auch anderes. Musik zum Beispiel. Ich singe im Churer Domchor, ebenfalls im Mitarbeitendenchor der PH Zürich. Und ich versuche seit zwei Jahren hartnäckig, Klavier zu lernen!
Zum Schluss: Hast du einen Tipp parat, wie wir angesichts der Daten, die wir beruflich und privat anhäufen, den Überblick behalten?
Selektieren: nur das wirklich Wichtige aufbewahren. Oder sampeln: nur eines von hundert gleichen Bildern speichern. Das heisst vor allem eines: löschen!
Das Interview erschien im Magazin «Inside» (2/2019), dem Mitarbeitendenmagazin der Pädagogischen Hochschule Zürich.